12|02|2020
Text und Fotos: Heinrich Kracke
Anwohner der Aller-Weser-Klinik werden stark sein müssen. Seit gestern rollen die Lastwagen in Richtung Baustelle. Und zurück. Aber auch Geschäftsführung, Architekten und Projektmanagement können sich nicht gelangweilt zurücklehnen. Ein erster Bauverzug ist aufzuholen, gleichzeitig steigen die Kosten.
Gestern wanderten die Blicke von Geschäftsführung und Architekten nach oben. Immerhin sahen sie da noch was. Die beiden Kräne, die das kreisweit größte öffentliche Projekt der vergangenen Jahre flankieren, den auf 38 Millionen Euro kalkulierten Klinik-Neubau, diese Kräne stehen noch. „Sabine konnte ihnen nichts anhaben, sie sind für solche Stürme ausgelegt“, sagt ein Bauarbeiter mit einem Schmunzeln. Auch die provisorisch gesicherte Fassade des Krankenhaus-Altbaus erlitt keinen Schaden. „Da musste nicht nachgebessert werden“, stellt AWK-Geschäftsführerin Marianne Baehr fest. In anderen Bereichen waren bereits in dieser frühen Phase Nachjustierungen notwendig.
„Wir gehen weiterhin von einer Fertigstellung im Sommer 2022 aus“, sagt Architekt Christian Merhof (Braunschweig). Daran ändere auch der zwischenzeitliche Baustopp nichts. Nach dem Erdbeben von Ende November war zunächst eine neuerliche Beweissicherung fällig geworden, heißt: Die privaten Nachbargebäude mussten auf Risse untersucht werden, um die Gefahr auszuschließen, dass eventuelle Schäden den Klinik-Bauarbeiten zugeordnet würden. Innerhalb einiger Wochen war das erledigt. Der erste Verzug hatte den ehrgeizigen Zeitplänen deutlich kräftiger zugesetzt. „Beim Brandschutz musste erheblich nachgebessert werden“, so Baehr, „das hat uns ein Jahr gekostet.“
Ein Radlader-Monster schiebt sich gestern über die mit 50 Metern nur schmale Baustelle zwischen die Straße Burgberg und die Radiologie. In der mannshohen Schaufel verschwinden bis zu drei Kubikmeter Sand. Nur wenige Bewegungen, dann ist der schwere Lastwagen bis Unterkante Oberlippe gefüllt. Aber das ist erst der Anfang.
15 bis 25 Fahrten kommen in den nächsten Wochen auf die Anlieger zu. Pro Tag ab morgens um sieben. Zwei Monate lang. Alles in allem 800 Fahrten. Rund 11 000 Kubikmeter Erdreich wollen abtransportiert sein.
Größere Überraschungen erwarte man im Untergrund nicht. Archäologische Funde dürften ausbleiben. „Das war hier früher Niemandsland, die Burg lag deutlich entfernt in Richtung Eisenbahn“, sagt Marianne Baehr. Ein Baugrund-Sachverständiger beobachte allerdings den Aushub, dies jedoch vorrangig, um zu entscheiden, welche Qualität der Boden hat, und wo er künftig eingesetzt werden kann. „Das meiste dürfte für den Straßenbau oder als Betonplatten-Unterbau nutzbar sein“, findet Architekt Merhof, „wir erwarten lediglich ein paar wenige Stellen, in denen früher Bauschutt vergraben wurde.“
Der Neubau des Krankenhauses beginnt mit dem Einbau der Bodenplatte. Innerhalb eines einzigen Tages werden 40 Beton-Fahrmischer am Burgberg erwartet. Start ist bereits gegen 5.30 Uhr. „Das ist für Anfang März geplant“, sagt Baukoordinator Marcel Venjakob (Münster). Gut ein Jahr werde es anschließend dauern, ehe der Rohbau mit 43 398 Kubikmetern Bruttorauminhalt emporgezogen sei. „Im Februar 2021 wollen wir Richtfest feiern.“
Höchst ungewiss derweil, ob die Baukosten von 38 Millionen Euro gehalten werden können. Schon der Rohbau bescherte den Planern unliebsame Überraschungen. „Eine erste europaweite Ausschreibung führte lediglich zu einem einzigen Angebot, und das lag auch noch um eine Million Euro über der Kalkulation“, so Venjakob. Aus „kalkulatorischen Gründen“ habe man eine zweite Ausschreibung starten können, die immerhin vier Angebote zu Tage förderte. Aber auch hier fand sich niemand, der mit den geplanten sechs Millionen Euro ausgekommen wäre. Der Hammer fiel bei 6,7 Millionen.
Diese Kostensteigerung müsse dem Niedersächsischen Landesamt für Bau und Liegenschaften (NLBL) gemeldet werden, dem obersten Kostenwächter des Verdener Klinikneubaus. Aber ob wirklich Steigerungen beim Gesamtpreis zu Buche schlagen, sei noch nicht absehbar. „Andere Gewerke dürften aktuellen Ausschreibungen zufolge günstiger als kalkuliert ausfallen,“ sagt AWK-Geschäftsführerin Marianne Baehr.
Auf jeden Fall bleibe es das Ziel, die Kosten für die Träger vor Ort nicht steigen zu lassen. Stadt und Landkreis Verden hatten jeweils vier Millionen Euro zugesagt. Sie sei zuversichtlich, sagt Baehr, in Hannover Verständnis für diese Strategie der lokalen Kostendeckelung zu finden. „Wir sind nicht das einzige Projekt in Niedersachsen, das teurer als vorgesehen zu werden droht.“
Vertreter des NLBL seien es sogar gewesen, die die Verdener ermutigten, den ganz großen zukunftsfähigen Rundumschlag zu wagen und damit Kostensteigerungen hinzunehmen. Als die Verdener Vertretung vor Jahren das erste Mal in Hannover auslotete, ob ein Krankenhausneubau an der Aller realistisch sei, da war man noch mit relativ kleinen Zahlen angereist. „Auf 18 Millionen Euro hatten wir den Bettenbau taxiert“, sagt Architekt Merhof. Sehr schnell brachte das Landesbauamt seinerzeit den Komplettneubau mit einer zentralen OP-Abteilung und vier Operationssälen ins Gespräch. Das Ergebnis jetzt: Der Verdener Krankenhaus-Altbau wird künftig lediglich noch die Kardiologie und die Entbindungsstation beherbergen, alle anderen medizinischen und pflegerischen Komponenten wandern in den Neubau.
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